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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Philosophie-Frage: Schuld durch Untätigkeit. Eure Meinung? (Bitte lesen;))



Thor_
21.03.2014, 00:04
Hallo zusammen

Zuerst einmal: Ich habe leider keinen besseren Titel gefunden, der meine Überlegungen besser beschreibt.
Ich muss zuerst ein bisschen ausholen:

Einleitung

Vor 60-70 Jahren geschah in Deutschland und anderen Orten in Europa etwas Schreckliches: Der Holocaust.
Ich möchte aber nicht darüber diskutieren!
Immer wieder behaupten leute, die damals gelebt haben, sie hätten nicht gewusst, was da vor sich ging und das es diese Konzentrations- und Vernichtungslager überhaupt gab. Während dies für einige Personen sicher stimmt, wurde auch bewiesen, dass einige Leute aus der Bevölkerung wussten oder sehr stark annehmen mussten, was da vor sich ging. Aus meiner Sicht haben diese Leute, die wussten was passierte, eigentlich dagegen waren aber nichts unternommen haben ihre moralische Pflicht verletzt. Sie hätten ihre Meinung kundtun und für ihre Überzeugung einstehen müssen.
Auf der anderen Seite war das Leben der Personen die sich gewehrt haben natürlich direkt bedroht. Da kann das untätig bleiben ein Stück weit auch mit Selbstschutz entschuldigt / gerechtfertigt werden.

Voraussetzung
Aus meiner Sicht ist es die Pflicht eines jeden einzelnen gegen ein Unrecht von dem er weiss vorzugehen. Wenn irgendwo, oder erst recht im eigenen Umfeld etwas passiert, was man selbst nicht verantworten kann, muss man sich einsetzen. Das wird oft auch mit Zivilcourage betitelt.

Erläuterung
Mich beschäftigen 2 konkrete Punkte:

1.) Ausbeutung von Arbeitskräften (in Fernost)
Die allermeiste unserer günstigen Hardware kommt aus Fernost. Dort werden Menschen unter menschenverachtenden Bedingungen ausgebeutet um unsere Handys, Computer aber auch Kleider unter schlechten Bedingungen zu fertigen. Diese Leute werden sehr schlecht bezahlt und ausgebeutet und zwar nur, dass wir jedes Jahr zusammen mit der Vertragsverlängerung unser neues iPhone für einen Euro bekommen. Aber damit nicht genug:
Die Rohstoffe für die Geräte werden in Afrika abgebaut, oft in Ländern in denen Bürkerkrieg herrscht, wo Leute von Bewaffneten dazu gezwungen werden, die Rohstoffe abzubauen. Oft sterben dabei auch Menschen. Mit dem Erlös des Verkaufes der Rohstoffe werden dann Waffen gekauft, um noch weitere Menschen umzubringen. Die Geschichte gehr aber noch weiter: Nach dem das alte Handy dann etwa 5 Jahre in der Schublade ein tristes Dasein gefristet hat, wird es nach Indine geschippert, wo die Leute an den Stränden Elektroschrott verbrennen um noch an ein bsischen Kupfer o.Ä. zu kommen. Das bei der Verbrennung und Bearbeitung der Abfälle auch wieder Menschen zu Schaden kommen ist ja klar...

Die Frage hier: Auf der einen Seite "muss man halt leben". Man kann heutzutage fast nicht ohne Handy, dass kann ich akzeptieren.
Aber im Grunde ist es doch so, dass die allermeisten die obigen Umstände kennen. Den meisten ist bekannt, was so ein Handy für einen Weg zurück legt bis es beim Kunden ist und danach, nach Gebrauch, auch noch einmal.
Ausserdem behaupte ich, dass die meisten die Behandlung dieser Arbeitskräfte nicht gutheissen kann und auch nicht als gerecht bezeichnet.

Wir handeln also gegen unser eigenes Wissen. Wir wissen, dass das was wir tun oder konsumieren so nicht richtig sein kann und trotzdem tun wir es, wahrscheinlich weil die Konsequenzen uns (noch) nicht direkt betreffen.
Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass wir unsere Sklaven überall auf der Welt haben. Aber dadurch, dass diese soweit weg sind kümmert es uns nicht.

2.)Umweltschutz
Die meisten Menschen sind sich einig, dass die Art, wie wir mit der Welt umgehen nicht gut ist und uns auf kurze oder lange Zeit schaden wird. Wir rotten andere Spezies aus, vergiften unseren eigenen Grund und Boden, lassen Treibhausgase in die Atmosphäre, so dass die Gletzer schmelzen und an gewissen Orten schon eindeutig Spuren sichtbar sind. Kurz: Unserer jetziger, auf Öl basierten Lebenswandel, wird uns nicht ewig am leben erhalten können. Eines Tages ist das Öl weg und mit ihm auch ganz viele Dinge aus unserem Alltag.

hier ist die Frage eigentlich: Die meisten werden dem oben geschriebenen zustimmen. Dennoch haben die meisten wohl ein (Benzin)-Auto, fahren selten Rad bzw. sobald es regnet doch wieder mit dem Auto.
Machen auch einmal eine Spritztour usw. Wie lässt sich das verienbaren?

Fragestellung

Mich treibt die Frage um, wie man mit dieser Schuld leben kann / soll?
Klar ist, dass man je nach Auslegung des obigen Gedankens eigentlich gar nicht mehr leben dürfte. Sobald man lebt, prägt man automatisch sein Umfeld. Man verbraucht Ressourcen usw. und das ist auch nicht per se schlecht.
Die Frage ist bis zu welchem Mass? Lässt sich es in einer Weise entschuldigen, was wir anderen Menschen und der Umwelt antun? Sind wir nicht genau gleich wie die Leute vor 60 Jahren, die vom Unrecht das geschieht wussten aber nichts getan haben, obwohl sie wussten, dass es nicht richtig sein kann? Was soll man unternehmen? Kann man überhaupt etwas unternehmen?
Und was sagen wir selbst in 20 Jahren? "Wir haben es nicht gewusst?!" Da wüssten doch alle, dass das eine Lüge ist!

Was denkt ihr zu diesem Thema?

Liebe Grüsse

_Thor

PS: Ich wäre wirklich über Antworten erfreut, die Frage plagt mich.

Manf
21.03.2014, 06:14
Bei den großen Problemen ist die Wirkung des Einzelnen gering, es gibt aber zum Glück Interessengruppen (in bestimmten Fällen bis hin zu politischen Parteien) die die Ziele auch schon erkannt haben und die man unterstützen kann. Dabei kann man auch weitere Informationen gewinnen und andere von der eigenen Bewertung überzeugen.
Man sollte sich immer wieder klar machen zu welchem Einsatz man bereit ist und wieviel man damit erreichen kann. Man sollte dabei die eigene Handlungsfähigkeit bewahren und ausbauen. (Greenpeace-Aktivist oder Marsch durch die Institutionen)
Wirksame Änderungen in der Gesellschaft werden immer auch mit Nachteilen verbunden sein die man bewerten muss muss, die einen aber nicht abschrecken sollten. Man sollte sich auch klar machen dass erkannte Missstände oft nicht vollständig gelöst werden können solange die Menschheit weiter besteht und sich entwickelt. Auch das sollte einen nicht davon abhalten, sich für Verbesserungen einzusetzen.

HannoHupmann
21.03.2014, 08:41
Nun sind es erst mal zwei grundlegend verschiedene Dinge ob Menschen zur Arbeit ausgebeutet werden oder vergast, gefoltert und umgebracht. Ganz schwarz, weiß ist es leider nicht, denn es gibt noch die Zwischenstufe der Zwangsarbeit in der beides zusammen geführt wird. Damals wie heute wird lieber ignoriert als gehandelt, denn sonst müssten wir alle in den Dingen tätig werden als Aktivisten (oder ähnliches). Aber ich finde man kann auch etwas tun ohne gleich radikale Schritte und Proteste zu unternehmen: bewusst Leben und sich mit den Konsequenzen seines Handelns beschäftigen.

Konkret bedeutet das z.B.:
- Den persönlichen Ressourcen Verbrauch so gut es geht minimieren !!!!
o Strom sparen durch effizientere Geräte, Standby verhindern, Ladegeräte ausstecken, Computer ausschalten usw. Das schöne ist, dass jeder die Ergebnisse seiner Bemühung am Ende des Jahres auf der Stromrechnung sieht. Man kann sich selbst leicht das Ziel setzen: Nächstes Jahr möchte ich nochmal 10% weniger verbrauchen! Nebenbei spart man noch Geld.
o Gleiches gilt für Wasser und auch für Benzin, sparsames kleines Auto kaufen und auf Leistung verzichten. Nur notwendige Strecken fahren oder wenigstens sinnvoll kombinieren.
o Lebensmittel aus der Region kaufen und vor allen auf Lebensmittel verzichten (oder wenigstens minimieren) die einen hohen Wasserverbrauch bei der Herstellung haben.
usw. es gibt unglaublich viele Möglichkeiten seinen eigenen Ressourcenverbrauch zu minimieren. Damit schont man die Umwelt und auch die Menschen
o Den Konsum einschränken von Produkten (hier sind alle Produkte gemeint) die schnell im Müll landen. Lieber mehr investieren und dafür länger Haltbar. (Das Geld hat man sich ja mit den Tipps oben gespart)
- FairTrade und ähnliche Ideen unterstützen. Wir leben im Luxus! Sind uns aber zu fein ein paar Groschen mehr auszugeben für Nahrungsmittel / Produkte die fair hergestellt werden! Gerade diese Bewegungen nutzen den Zwangsarbeitern am meisten. Doch auch hier gilt, bewusst Leben und sich informieren ob das Lable bzw. die Marke auch wirklich fair arbeitet. Es gibt schwarze Schafe.
- Hilfsorganisationen unterstützen, jeder in Europa kann ohne Probleme auf etwas Geld verzichten um Gutes zu tun.
usw.

Unterm Strich läuft es immer auf eines hinaus: Jeder der etwas tun will, muss bereit sein, auf seinen persönlichen Luxus ein Stück weit zu verzichten, um damit Anderen zu helfen. Niemand der hier Mitlist hat ernsthafte existenzielle Sorgen! Höchstens die Befürchtung auf etwas Luxus verzichten zu müssen.
(In der Historie gab es sogar Menschen die haben auf den Luxus zu leben verzichtet um gegen Missstände vorzugehen!).
Bedauerlicherweise wird dieser Gedanke nur langsam akzeptiert. Aber immerhin, besser ein paar leben danach, als gar keiner.

Thor_
26.03.2014, 13:39
Hallo zusammen und danke für euere Antworten

Mir ging es eher darum, dass wir ja über diese Umstände bescheid wissen. Natürlich können wir unsere "Schuld" oder unseren Beitrag an diesem Unrecht minimieren indem wir weniger konsumieren oder uns auf Produkte beschränken, welche nicht aus solchen Umständen stammen. Dies behebt das Unrecht ja aber leider nicht.

Die Frage ist eher, ob man, da wir alle wissen wie es läuft, nicht moralisch verpflichtet ist WIRKLICH etwas dagegen zu tun. Also um noch einmal den NAZI-KZ Vergleich zu bemühen:
Man stelle sich vor, damals wäre die gesammte Bevölkerung einer Dorfes oder einer Stadt gegen so ein KZ angegangen, sie hätten etwas bewirken können!

WIe man dies in der Praxis tun oder anstellen sollte ist natürlich eine andere Frage, die ganze Überlegung ist ja auch eher theoretischer Natur.

oberallgeier
26.03.2014, 13:50
... moralisch verpflichtet ist WIRKLICH etwas dagegen zu tun ... die ganze Überlegung ist ja auch eher theoretischer Natur.Genau da scheiterts ja. Theoretisch sind wir moralisch schon/meist/manchmal ok.

MagIO2
26.03.2014, 17:16
Ich denke wir haben hier einige grundlegende ... nennen wir es mal Unzulänglichkeiten.

1. Die Moral ist noch sehr jung - was bedeutet, dass sie sehr unterschiedlich ausgeprägt ist
2. Die Moral hat auch evolutionstechnisch keine Vorteile zu bieten, weshalb es eine reine intelektuelle Leistung ist sich moralisch zu verhalten
3. Schlimmer noch: unmoralisches Verhalten bringt häufig Vorteile gegenüber moralisch handelnden
4. Der Mensch lebt gerne in einer Comfort-Zone und rührt sich nicht, solange die nicht in Gefahr ist
5. Ohne direkten Kontakt sind die Auswirkungen von unmoralischem Handeln zu abstrakt und werden schlicht und einfach vom Alltag / den Gewohnheiten verdrängt

Ich denke es wird noch etliche Generationen dauern, bis weltweit ein auf Moral basierendes miteinander möglich ist. So lange kann nur jeder Einzelne sein Bestes geben - nicht immer, aber hoffentlich immer öfter.

witkatz
26.03.2014, 17:42
es wird noch etliche Generationen dauern, bis
...vorausgesetzt, dass es noch etliche Generationen geben wird....